Tower of Winds, Yokahama
Unsichtbares sichtbar machen
Toyo Itos Medienfassade für den Belüftungsturm eines unterirdischen Einkaufszentrums in Yokohama ist ein Lichtspiel. Zwischen der Konstruktion, die mit einem Zylinder aus perforiertem Aluminium ummantelt wurde, sind verschiedene ansteuerbare Leuchtmittel, Neonringe, Kaltlicht- und Flutlichtstrahler angebracht, die bei Dunkelheit auf die Luftbewegungen im Schacht reagieren.
– Architects: Toyo Ito
– Location: Nishi-ku, Yokahama
– Height: 21 m
– Area: 43.45 sqm
– Year: 1986
Während die Aluminiumplatten das Sonnenlicht reflektieren und den Turm als einen soliden Baukörper erscheinen lassen, wird im Gegenlicht durch die Verkleidung hindurch das Tragwerk sichtbar. Mit Beginn der Dämmerung reagieren die in den Räumen zwischen Abluftschacht und Aluminiumummantelung integrierten Leuchtmittel auf die Luftbewegungen im Schacht und machen so innere Prozesse in Echtzeit nach außen sichtbar.
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Konzept der «zwei Körper»
Das Fliessende im direkten und übertragenen Sinn ist sein zentrales Entwurfsthema von Toyo Ito. Sein «Konzept der zwei Körper» machte ihn zur Schlüsselfigur der Medienarchitektur der 1990er Jahre: «Ebenso wie der materielle Körper des Menschen Teil des Wasserkreislaufes ist, formt den elektronischen Körper ein zweiter, weltumspannender Strom der Medien, der Daten und der Kommunikation. Alles fliesst. Auch Gebäude sind Körper im Fluss und werden von Strömungen geformt», lautet sein Credo.
Toyo Ito interpretiert die japanischen Metropolen als «Netz verschiedener Ströme». Als «Fluss» in der Grossstadt sieht Ito nicht nur den Verkehr, sondern ganz allgemein «die ständige Veränderung». Der 21 Meter hohe Turm der Winde, den Ito 1986 inmitten eines Kreisverkehrs am Hauptbahnhof von Yokohama errichtete, ist die überzeugendste Metapher dieses Weltbilds. Die transparente, sensorische Medienfassade, die auf Reize der Umgebung wie Wind und Geräusche reagiert und sich in elektronische Lichtspiele verwandelt, versteht Toyo Ito als «Ausdruck städtischer Komplexität» versteht. So transformiert sich die Geräuschkulisse Yokohamas in einen bunten Sternennebel. Im Gegensatz zum Westen, wo Städte meist eine Art Museen mit einem festen Bestand an Monumenten und öffentlichen Räumen sind, begreift Ito die Stadt als etwas Flüchtiges, das sich nicht in Gebäuden, sondern in Strommasten, Automaten, Leuchtreklamen und Verkehrszeichen artikuliert.
Auch Itos Wind-Ei, 1991 im Tokioter Neubauviertel Ohkawabashi errichtet, ist nur ein vorübergehender Aufenthaltsort für Stadtnomaden. Tagsüber wirkt das an einen Rugby-Ball erinnernde Wind-Ei aus perforierten Aluminiumplatten farblos, doch am Abend werfen fünf innen liegende computergesteuerte Projektoren Bilder auf die Wände. In diesem schwebenden Haus sieht Ito ein weiteres Zeichen der «flüchtigen, schnelllebigen Stadt». Er hält denn auch fest: «Man kann die Tokioter mit Nomaden vergleichen, die in künstlichen Wäldern umherziehen. Niemand hält sich tagsüber in den Wohnhäusern auf, sogar die Hausfrauen gehen fort. Die Ehemänner kommen nur zum Schlafen nach Hause. Heutzutage werden in Tokio die Häuser in atemberaubendem Tempo gebaut und bald ebenso schnell wieder abgerissen. Manche erfreuen sich grosser Beliebtheit und haben dann genauso schnell ausgedient und werden abgelegt wie ein alter Hut. Unsere städtischen Räume sind Ausdruck reiner Oberflächlichkeit».
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Die Mischung aus primitiver Hütte und Raumschiff, wie das Wind-Ei sie verkörpert, ist typisch für Itos frühe Architekturen, die «im Fluss der Stadt schwimmen». Das Sichtbarmachen von Strömen stand bei Itos frühen Entwürfen im Zentrum. Der Glaube an die Autonomie (des Menschen und der Architektur) ging dabei verloren: «In einer fragmentierten Metropole wie Tokio, einer Stadt ohne Gesamtbild, in der Städtebau als Kategorie nicht existiert, ist Wandel die einzige Konstante. Weil die Mieten im Zentrum unbezahlbar sind, muss man viel Zeit mit der Überwindung der enormen Entfernungen zwischen Wohn- und Arbeitsort verbringen und lebt entlang einer Linie.» Die transluzenten Flächen, Filter und mehrschichtigen Wände seiner Bauten spielen auf die Shoji genannten Papiermembranen der traditionellen japanischen Architektur an. Auch Ito konzipiert seine Bauten als delikate Überlagerungen halbtransparenter Hüllen, allerdings aus Industriematerialien wie Glas oder perforiertem Metall.
Auszug aus: Ulf Meyer. Das Unsichtbare sichtbar machen – Der japanische Architekt Toyo Ito. NZZ, 28. Oktober 2013
Von Ulf Meyer, Architekt und Publizist in Berlin, sind jüngst zwei Architekturführer über Tokio und Taiwan bei DOM Publishers erschienen.